Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Schmidt,
hier sende ich Ihnen meinen Leserbrief zum Artikel „Kosten müssen insgesamt runter“ (dpa) und zum damit verbundenen Kommentar von Tobias Schmidt, NOZ vom 18.07.2025, auf Seite 1.
Mit Erstaunen habe ich den Artikel über die geplanten Korrekturen von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche zur Energiewende gelesen, und den begleitenden Kommentar von Tobias Schmidt. Was hier als Realitätscheck verkauft wird, ist in Wahrheit ein Rückschritt auf Raten, der die Transformation zur klimaneutralen Energieversorgung unnötig verlangsamt und verteuert.
Frau Reiche beklagt die Kosten der Energiewende und fordert mehr Steuerbarkeit im Stromsystem. Doch statt konsequent auf Speicher, Flexibilität und Sektorkopplung zu setzen, deutet sie implizit eine Rückkehr zur fossilen Reservekapazität an, sprich: neue Gaskraftwerke. Wenn Reiche also die Volatilität von Wind und Sonne kritisiert, aber gleichzeitig den weiteren Ausbau bremst und die Betreiber erneuerbarer Energien zusätzlich zur Kasse bitten will, schwächt sie genau die Strukturen, die sie angeblich stärken möchte.
Besonders befremdlich ist die Forderung, Betreiber von Solar- und Windanlagen müssten sich nun am Netzausbau beteiligen. Diese Anlagen senken durch den Merit-Order-Effekt heute schon den Großhandelsstrompreis und entlasten uns alle langfristig von fossilen Importkosten. Zusätzliche Abgaben würden Bürgerenergie, Genossenschaften und kleine Akteure treffen. Also genau die, die wir für eine dezentrale Energiewende dringend brauchen. Das gefährdet nicht nur Investitionen, sondern auch Vertrauen.
Auch die Behauptung, die bisherigen Verbrauchsprognosen seien übertrieben, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Studien von Agora Energiewende, der Bundesnetzagentur oder dem Fraunhofer ISE rechnen mit 750 bis über 1000 TWh Stromverbrauch bis 2035, getrieben durch Wärmepumpen, E-Mobilität und grünen Wasserstoff. Reiches Skepsis ignoriert diese breite wissenschaftliche Übereinstimmung.
Tobias Schmidt trifft im Kommentar zwar einen richtigen Punkt: Der Ausbau von Netzen, Speichern und Erneuerbaren muss koordiniert werden. Doch seine pauschale Warnung vor einem „Wildwuchs bei der Solarenergie“ ist weder sachlich noch zielführend. Wenn Überschüsse auftreten, liegt das nicht an zu viel Solarstrom, sondern an einem Strommarkt, der noch immer nicht auf Flexibilität, Speicher und sektorübergreifende Nutzung ausgerichtet ist. Statt die Symptome zu beklagen, sollte man endlich die Strukturen anpassen.
Die Klimaziele für 2045 sind nicht „sehr ambitioniert“, sie sind das absolute Minimum, um unseren Beitrag zur Eindämmung der Klimakrise zu leisten. Wer jetzt anfängt, an ihrer Realisierbarkeit zu zweifeln, leistet jenen Vorschub, die von Anfang an gegen die Energiewende gearbeitet haben.
Wir brauchen keine Verzögerungstaktik in neuem Gewand. Wir brauchen Verlässlichkeit, Planungssicherheit und Mut. Wer die Energiewende realistisch“
gestalten will, muss sie vor allem mit aller Kraft umsetzen.
Mit freundlichen Grüßen