Sehr geehrte Redaktion,

hier sende ich Ihnen meinen Leserbrief zum Artikel „Wie links dürfen Verfassungsrichter sein?“ (NOZ vom Montag, 07.07.2025, Seite 4, übernommen aus der NZZ).

Mit Erstaunen und wachsender Irritation habe ich den Artikel zur Kandidatur der Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht gelesen, und noch mehr darüber, dass er ausgerechnet aus der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) stammt. Die NZZ mag einmal als liberale Qualitätszeitung gegolten haben, doch in den letzten Jahren hat sie sich, vor allem im Deutschland-Teil, deutlich nach rechts verschoben. Dass die NOZ nun beginnt, Artikel aus dieser publizistischen Richtung ungefiltert zu übernehmen, ist bedenklich und leider symptomatisch für eine Entwicklung, die ich zunehmend auch in der NOZ selbst beobachte.

Der Artikel selbst insinuiert, Brosius-Gersdorf sei als Verfassungsrichterin fragwürdig, nicht etwa wegen fehlender juristischer Qualifikation (die ausdrücklich bestätigt wird), sondern weil sie als „zu links“ erscheint. Dabei werden zentrale Grundhaltungen wie die Verteidigung der Demokratie gegen verfassungsfeindliche Parteien oder eine differenzierte Position zum Thema Impfpflicht als „ultralinks“ oder „unangemessen“ diffamiert. Das ist nicht nur sachlich verkürzt, sondern spielt ganz offensichtlich einer konservativen Empörungskultur in die Hände, die sich zunehmend auch auf verfassungsrechtlich legitime Meinungen einschießt, solange sie nicht ins eigene Weltbild passen.

Viel bedenklicher aber finde ich, dass sich die NOZ nicht mehr die Mühe macht, solche Texte redaktionell einzuordnen oder ihnen zumindest eine eigene Stimme entgegenzustellen. Stattdessen übernimmt man sie eins zu eins. Was kommt als Nächstes? Gastbeiträge aus der Jungen Freiheit oder Compact?

Die NOZ sollte sich ernsthaft fragen, welchen publizistischen Weg sie einschlagen will, und wie viel Ausgewogenheit sie ihrer Leserschaft noch zutraut. Ein Rechtsruck im redaktionellen Teil ist jedenfalls unübersehbar. Wer sich hier noch kritisch mit der AfD oder autoritären Tendenzen auseinandersetzen will, findet dafür immer weniger Raum, und dafür umso mehr freundliche Übernahmen aus dem konservativ-reaktionären Meinungsspektrum. Das ist beunruhigend.

Mit freundlichen Grüßen