Sehr geehrte Redaktion, 

beigefügt sende ich Ihnen meinen Leserbrief zum Interview mit Christian Dürr (NOZ, 14.07.2025).

Kaputtsparen als Freiheit, die FDP bleibt sich treu

Im Interview mit der NOZ präsentiert sich Christian Dürr als moderner Parteivorsitzender, der zuhört, versteht und gestalten will. Was zunächst wie ein Neustart klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als altbekannter Marktradikalismus im neuen Gewand.

Wenn Dürr junge Geringverdiener aus der gesetzlichen Rentenversicherung herauslösen will, um sie auf Kapitalmärkte zu schicken, verkauft er eine gefährliche Illusion als Gamechanger. Tatsächlich würde dieser Schritt das Rentensystem weiter destabilisieren. Geringverdiener tragen ein hohes Anlagerisiko, Verluste zahlen sie mit Altersarmut. Dass ausgerechnet diejenigen, die wenig haben, auf renditestarke Aktien hoffen sollen, während Besserverdienende im System bleiben, ist keine Freiheit, sondern ein Rückzug des Sozialstaats mit Ansage.

Auch die Kritik an der sogenannten Mütterrente zeigt ein fragwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit: Dass Frauen für Erziehungszeiten einen fairen Rentenausgleich erhalten, ist kein Verteilen, sondern ein überfälliger Schritt Richtung Gleichberechtigung. Wer das gegeneinander aufrechnet, stellt Leistungsgerechtigkeit gegen Lebensleistung, und spaltet weiter.

Besonders verstörend ist Dürrs pauschale Behauptung, drei von vier Migranten kämen ins Sozialsystem. Diese Zahl entbehrt jeder seriösen Grundlage und bedient Vorurteile statt Lösungen. Deutschland braucht qualifizierte Einwanderung, das gelingt nicht durch Abschottung, sondern durch Integration und Perspektiven. Wer Schweden als Vorbild nennt, sollte auch erwähnen, dass Schweden ein starkes öffentliches System und aktive Arbeitsmarktpolitik betreibt, nicht Deregulierung à la FDP.

Und wenn Herr Dürr verlangt, Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse pauschal später einzuschulen, ist das keine Bildungsoffensive, sondern eine Stigmatisierung im Vorfeld. Frühkindliche Förderung, nicht Ausschluss, ist der Schlüssel zur Chancengleichheit.

Kurzum: Die FDP gibt sich bürgernah, bleibt aber ihrem alten Kurs treu, weniger Staat, mehr Eigenverantwortung, auch wenn’s sozial ungerecht wird. Das Etikett ist neu, der Inhalt ist alt. Wer echte Reformen will, muss bereit sein, das Gemeinwohl über Marktideologie zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen