Hallo NOZ Team,

beigefügt sende ich Ihnen meinen Leserbrief zur NOZ vom Dienstag, 20.05.2025, Meinung Lucas Wiegelmann auf Seite 1.

Lucas Wiegelmann lobt Friedrich Merz für seine Aussagen zur Arbeitszeit und spricht von einem neuen, verständnisvollen Ton. Doch bei aller Rhetorik bleibt die inhaltliche Schlagseite des Artikels unverkennbar: Es wird suggeriert, dass die Deutschen zu wenig arbeiten, ohne die gesellschaftliche Realität ernsthaft zu würdigen.

Allein im Jahr 2023 wurden in Deutschland laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über 1,3 Milliarden Überstunden geleistet, davon über 700 Millionen unbezahlte. Gleichzeitig stemmen Millionen Menschen – vor allem Frauen – jeden Tag unbezahlte Sorgearbeit: Sie betreuen Kinder, pflegen Angehörige und halten das soziale Gefüge zusammen. Viele von ihnen würden gerne erwerbstätig sein oder aufstocken, können es aber schlicht nicht, weil es an verlässlicher Kinderbetreuung und Pflegeinfrastruktur mangelt.

Die im Artikel erwähnte IW-Studie zur geringen Arbeitszeit pro Einwohner blendet genau diese Aspekte aus. Wer nur auf die Statistik der Erwerbsstunden schaut, ohne Care-Arbeit, Teilzeitzwang oder die hohe Produktivität pro Stunde zu berücksichtigen, betreibt eine gefährliche Verkürzung.

Es ist gut, wenn Politiker nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger sprechen. Doch was nützt ein „richtiger Ton“, wenn die dahinterstehenden politischen Rezepte wieder auf mehr Druck und weniger gesellschaftliche Anerkennung hinauslaufen? Eine echte Arbeitsdebatte beginnt dort, wo alle Formen von Arbeit – auch unbezahlte – mitgedacht und strukturelle Hindernisse endlich ernst genommen werden.

Mit freundlichen Grüßen