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Leserbrief zum Artikel von Chefredakteur Ewert – Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander, NOZ vom Montag, 16.11.2025, Seite 5

Der Leserbrief kritisiert, dass Ewerts Artikel ein sehr positives Bild der NOZ zeichnet, das mit der realen Ausrichtung der Redaktion nicht immer übereinstimmt. Er bemängelt, dass kritische Hinweise auf Schieflagen oder einseitige Themensetzungen von der Chefredaktion eher abgewehrt als ernsthaft geprüft werden. Der Text fordert mehr echte Vielfalt und Selbstreflexion im journalistischen Alltag.

Hallo NOZ, hallo Herr Ewert,

mit Interesse habe ich die Ausführungen des Chefredakteurs zur Rolle der NOZ gelesen.

Der Artikel formuliert hohe Ansprüche: Breite der Perspektiven, historische Bescheidenheit, kritische Distanz zur Macht. Doch gerade hier entsteht ein deutlicher Widerspruch zwischen Selbstbeschreibung und tatsächlicher publizistischer Praxis.

Wenn Herr Ewert behauptet, Kritik an einem Rechtsruck komme von Menschen, „die keine Vielfalt wollen“, dann dient das weniger der Debatte als der Immunisierung gegen berechtigte Einwände. Wer eine einseitige Schwerpunktsetzung anspricht (etwa in der migrationspolitischen Berichterstattung oder in den jüngsten Interviews und Meinungsbeiträgen), wird auf diese Weise pauschal diskreditiert. Vielfalt ist nicht gegeben, wenn bestimmte Perspektiven quantitativ überwiegen und andere nur am Rand vorkommen.

Auch die Warnung vor historischen Parallelen, etwa zu Weimar, klingt weniger nach intellektueller Bescheidenheit als nach politischer Entschärfung. Gerade in Zeiten wachsender Radikalisierung braucht es einen Journalismus, der Entwicklungen klar benennt, statt sie aus Angst vor „falschen Vergleichen“ zu relativieren.

Zudem fällt auf, dass Herr Ewert keine einzige selbstkritische Reflexion erwähnt, weder zu journalistischen Fehlgewichten noch zu problematischen Framings, die Leser zu Recht irritieren. Vorwürfe verschwinden so nicht; sie werden nur rhetorisch abgefedert.

Ich und viele weitere Lesende wünschen sich eine NOZ, die ihren eigenen Anspruch ernst nimmt: tatsächliche Breite, kritische Haltung gegenüber allen politischen Akteuren, klare Trennung von Meinung und Berichterstattung und eine ehrliche, auch selbstkritische, Auseinandersetzung mit redaktionellen Schieflagen.

Ein Leitartikel, der vor allem die eigene Strategie lobt, ersetzt diese Arbeit nicht.

Mit freundlichen Grüßen

1 Kommentar

  1. Peter Reichl

    Ewert inszeniert „seine“ Redaktion als modern, kritisch, pluralistisch und unterlegt das Ganze auch noch mit einem großen Foto von sich, Bild, Burda oder Rockstarjournalismus? Doch fast alle seine Thesen leiden unter einem Mangel an Selbstkritik, empirischer Untermauerung und struktureller Klarheit.
    Nur so viel: Die Ablehnung von Einseitigkeit zeichnet seriösen Journalismus aus . Mit der pauschalen und einseitigen Behauptung „die Kritiker wollen keine Vielfalt“ verstößt Ewert selbst gegen diese Forderung.
    Ferner wird die Gefahr, dass bei Rockstarmentalität im Journalismus Popularität statt Recherchequalität zum neuen Maßstab werden könnte, nicht gesehen.
    „Wir müssen Geschichten schreiben, die eine KI nicht kann“ ist leicht dahin gesagt. Journalistisch mutig wäre es mal eine These (s.o. „Thesenpapier“) zum Vorgehen zur Erstellung einer solchen Geschichte zu wagen.
    Allerdings ist die Angst berechtigt, würde doch das vorgeschlagene Verfahren sofort für die KI programmiert werden.

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