Leserbriefe, Medienkritik & politische Analysen seit 2025

Kategorie: Zeitgeschehen (Seite 10 von 16)

Leserbrief zur NOZ von Montag, 21.07.2025: Unkritische Nebeneinanderstellung normalisiert verfassungsfeindliche Positionen

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Grupe,

in Ihrer Ausgabe vom 21. Juli erscheinen zwei Artikel, die im Zusammenspiel Fragen nach der journalistischen Verantwortung aufwerfen: Auf der Titelseite berichten Sie über das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage, laut der 52 % der Bürgerinnen und Bürger gegen ein Verbot der AfD seien. Im Innenteil analysieren Sie die Äußerungen des AfD-Politikers Maximilian Krah zu einem möglichen Verbot der Identitären Bewegung und zur strategischen Umdeutung des Begriffs Remigration.

Beide Texte stehen kommentarlos nebeneinander und vermitteln dadurch den Eindruck, es handele sich bei der AfD und ihrem ideologischen Umfeld lediglich um politische Positionen am Rand des demokratischen Spektrums, über die man kontrovers diskutieren könne. Tatsächlich aber geht es um tiefgreifende verfassungsfeindliche Bestrebungen.

Der Begriff Remigration, den Krah „strategisch“ umdeuten möchte, ist kein harmloser Diskussionsbeitrag. Er meint in der von Martin Sellner propagierten Form, auf die sich Krah ausdrücklich bezieht, die massenhafte Deportation auch von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Konzept jüngst als klar verfassungswidrig eingestuft. Und trotzdem wird es in Ihrem Artikel nahezu unkommentiert referiert, als ginge es um eine legitime migrationspolitische Option. Auch Krahs Forderung nach ethnischer Segregation („außereuropäisches Berlin-Neukölln“) bleibt im Text unwidersprochen. Damit läuft Ihre Berichterstattung Gefahr, die radikale Rhetorik zu normalisieren, statt sie als das zu benennen, was sie ist: ein Angriff auf das Grundgesetz und die Menschenwürde.

Vor diesem Hintergrund wirkt der Hinweis auf eine (methodisch fragwürdig dargestellte) Umfrage zur Ablehnung eines AfD-Verbots auf der Titelseite besonders bedenklich. Die Allensbach-Zahlen stehen unkommentiert für sich, ohne Hinweis auf die jüngsten gegenteiligen Umfrageergebnisse (z. B. von Insa oder Ipsos), ohne Reflexion über die soziale Dynamik dahinter und ohne jegliche journalistische Einordnung.

Demokratie ist kein rein arithmetischer Prozess, in dem Umfragen über die Gültigkeit des Grundgesetzes entscheiden. Wenn eine Partei in Teilen offen verfassungsfeindliche Positionen vertritt und deren Protagonisten wie Maximilian Krah nicht einmal mehr zurücktreten müssen, sondern strategisch über Begriffsverschiebungen nachdenken, dann braucht es mehr als neutrale Berichterstattung. Dann braucht es Haltung. Und die vermisse ich in Ihrer Ausgabe.

Mit freundlichen Grüßen

Leserbrief zum Artikel Strengere Regeln für Cannabis auf Rezept geplant (NOZ vom 16.07.2025, Seite 4)

Guten Tag, sehr geehrte Redaktion,

beigefügt erhalten Sie meinen Leserbrief zum Artikel Strengere Regeln für Cannabis auf Rezept geplant (NOZ vom 16.07.2025, Seite 4).

Mit ihren geplanten Änderungen zum medizinischen Cannabis schadet Bundesgesundheitsministerin Nina Warken vor allem einer Gruppe: kranken Menschen, die auf eine individuell abgestimmte Therapie angewiesen sind. Die Argumentation, ein Anstieg der Importe sei ein Zeichen für Missbrauch, ist weder durch Daten belegt noch medizinisch schlüssig. Mehr Nachfrage kann auch ein Zeichen für bessere Akzeptanz und Aufklärung unter Ärzten sein, zumal Cannabis für viele Patientinnen und Patienten eine nebenwirkungsärmere Alternative zu Opioiden darstellt.

Besonders problematisch ist das geplante Verbot von Videosprechstunden und Versandapotheken. In ländlichen Regionen oder für mobilitätseingeschränkte Menschen ist genau das oft die einzige Möglichkeit, Zugang zur Behandlung und zu Medikamenten zu erhalten. Warum sollten schwerkranke Menschen regelmäßig persönlich erscheinen müssen, wenn sie längst stabil auf ein Präparat eingestellt sind? Andere Medikamente mit Missbrauchspotenzial werden auch nicht derart restriktiv behandelt.

Statt Digitalisierung und patientenzentrierte Versorgung voranzubringen, wird hier ein Rückschritt ins 20. Jahrhundert gemacht. Ohne nachgewiesenen Missbrauch werden hier Hürden aufgebaut, die in der Praxis vor allem Leid und Unsicherheit erzeugen.

Am Ende entsteht der Eindruck, es gehe nicht um bessere Versorgung, sondern um symbolische Härte. Typisch CDU: Man macht Symbolpolitik, und trifft damit wieder einmal die Schwächsten.

Mit freundlichen Grüßen 

Leserbrief zur NOZ vom Mittwoch, 16.07.2025, zum Kommentar Racial Profiling: Verharmloster Balanceakt von Cara-Celine Kreth, Seite 4

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrte Frau Kreth,

hier sende ich Ihnen meinen Leserbrief zur NOZ vom Mittwoch, 16.07.2025, zum Kommentar Racial Profiling: Verharmloster Balanceakt von Cara-Celine Kreth, Seite 4.

Cara-Celine Kreth zeigt zutreffend, dass Racial Profiling in Deutschland ein strukturelles Problem ist. Laut Integrationsbarometer des Sachverständigenrats für Integration und Migration werden Menschen, die äußerlich als nicht-deutsch wahrgenommen werden, etwa doppelt so häufig kontrolliert wie andere.

Besonders bedenklich ist der beschriebene Zirkelschluss: Wer häufiger kontrolliert wird, taucht auch häufiger in den Statistiken auf, und gilt dadurch fälschlich als auffälliger. So wird Diskriminierung nicht hinterfragt, sondern weiter verfestigt.

Dass viele Polizeidirektionen spezielle Schulungen für nicht erforderlich halten, verweist auf eine erschreckende Blindstelle im System.

Mit freundlichen Grüßen 

Leserbrief zum Interview mit Christian Dürr (NOZ, 14.07.2025), Seite 5

Sehr geehrte Redaktion, 

beigefügt sende ich Ihnen meinen Leserbrief zum Interview mit Christian Dürr (NOZ, 14.07.2025).

Kaputtsparen als Freiheit, die FDP bleibt sich treu

Im Interview mit der NOZ präsentiert sich Christian Dürr als moderner Parteivorsitzender, der zuhört, versteht und gestalten will. Was zunächst wie ein Neustart klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als altbekannter Marktradikalismus im neuen Gewand.

Wenn Dürr junge Geringverdiener aus der gesetzlichen Rentenversicherung herauslösen will, um sie auf Kapitalmärkte zu schicken, verkauft er eine gefährliche Illusion als Gamechanger. Tatsächlich würde dieser Schritt das Rentensystem weiter destabilisieren. Geringverdiener tragen ein hohes Anlagerisiko, Verluste zahlen sie mit Altersarmut. Dass ausgerechnet diejenigen, die wenig haben, auf renditestarke Aktien hoffen sollen, während Besserverdienende im System bleiben, ist keine Freiheit, sondern ein Rückzug des Sozialstaats mit Ansage.

Auch die Kritik an der sogenannten Mütterrente zeigt ein fragwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit: Dass Frauen für Erziehungszeiten einen fairen Rentenausgleich erhalten, ist kein Verteilen, sondern ein überfälliger Schritt Richtung Gleichberechtigung. Wer das gegeneinander aufrechnet, stellt Leistungsgerechtigkeit gegen Lebensleistung, und spaltet weiter.

Besonders verstörend ist Dürrs pauschale Behauptung, drei von vier Migranten kämen ins Sozialsystem. Diese Zahl entbehrt jeder seriösen Grundlage und bedient Vorurteile statt Lösungen. Deutschland braucht qualifizierte Einwanderung, das gelingt nicht durch Abschottung, sondern durch Integration und Perspektiven. Wer Schweden als Vorbild nennt, sollte auch erwähnen, dass Schweden ein starkes öffentliches System und aktive Arbeitsmarktpolitik betreibt, nicht Deregulierung à la FDP.

Und wenn Herr Dürr verlangt, Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse pauschal später einzuschulen, ist das keine Bildungsoffensive, sondern eine Stigmatisierung im Vorfeld. Frühkindliche Förderung, nicht Ausschluss, ist der Schlüssel zur Chancengleichheit.

Kurzum: Die FDP gibt sich bürgernah, bleibt aber ihrem alten Kurs treu, weniger Staat, mehr Eigenverantwortung, auch wenn’s sozial ungerecht wird. Das Etikett ist neu, der Inhalt ist alt. Wer echte Reformen will, muss bereit sein, das Gemeinwohl über Marktideologie zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Leserbrief zum Artikel „Macht Mindestlohn Erdbeeren unbezahlbar?“ (NOZ vom 09.07.2025)

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrte Frau Böhm,

hier sende ich Ihnen meinen Leserbrief zum Artikel „Macht Mindestlohn Erdbeeren unbezahlbar?“ (NOZ vom 09.07.2025).

Der Artikel über die Sorgen der Obstbäuerin Janne Böckmann erweckt einseitig den Eindruck, der gesetzliche Mindestlohn sei eine Bedrohung für unsere heimischen Erdbeeren, und unterschlägt dabei zentrale Aspekte einer fairen und sozialen Arbeitswelt.

Es ist bedenklich, dass die Autorin die Aussagen der Unternehmerin sowie der Agrarlobby nahezu unkommentiert wiedergibt, ohne die Perspektive der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch nur einmal zu erwähnen. Was bedeutet es für rumänische Erntehelfer, 12 Stunden auf dem Feld zu stehen, und dennoch kaum mehr als den Mindestlohn zu erhalten? Sollte es in einem reichen Land wie Deutschland wirklich als Zumutung gelten, dass auch „der schwächste Erdbeerpflücker“ einen gesetzlich garantierten Lohn bekommt?

Der Mindestlohn ist kein Luxus, sondern eine untere Haltelinie gegen Ausbeutung. Wenn Betriebe ihre Preise nur durch Lohndumping konkurrenzfähig halten können, liegt das Problem nicht beim Mindestlohn, sondern bei einem Wirtschaftssystem, das unfaire internationale Konkurrenz zulässt und soziale Standards untergräbt.

Auch die Erzählung von den „Schnorrern“ auf dem Feld oder dem Fachkräftemangel wirkt wie ein Ablenkungsmanöver. Niemand bestreitet, dass die Landwirtschaft vor Herausforderungen steht, aber der soziale Frieden wird nicht durch Diebe auf Erdbeerfeldern bedroht, sondern durch die Forderung nach Ausnahmen im Arbeitsrecht.

Statt ständig nach Sonderregelungen zu rufen, sollte sich die Branche fragen, wie faire Arbeitsbedingungen, regionale Qualität und nachhaltige Produktion gemeinsam funktionieren können. Das wäre eine Debatte, die wir dringend brauchen, nicht die Aufweichung des Mindestlohns.

Mit freundlichen Grüßen 

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