Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Grupe,
in Ihrer Ausgabe vom 21. Juli erscheinen zwei Artikel, die im Zusammenspiel Fragen nach der journalistischen Verantwortung aufwerfen: Auf der Titelseite berichten Sie über das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage, laut der 52 % der Bürgerinnen und Bürger gegen ein Verbot der AfD seien. Im Innenteil analysieren Sie die Äußerungen des AfD-Politikers Maximilian Krah zu einem möglichen Verbot der Identitären Bewegung und zur strategischen Umdeutung des Begriffs Remigration.
Beide Texte stehen kommentarlos nebeneinander und vermitteln dadurch den Eindruck, es handele sich bei der AfD und ihrem ideologischen Umfeld lediglich um politische Positionen am Rand des demokratischen Spektrums, über die man kontrovers diskutieren könne. Tatsächlich aber geht es um tiefgreifende verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Der Begriff Remigration, den Krah „strategisch“ umdeuten möchte, ist kein harmloser Diskussionsbeitrag. Er meint in der von Martin Sellner propagierten Form, auf die sich Krah ausdrücklich bezieht, die massenhafte Deportation auch von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Konzept jüngst als klar verfassungswidrig eingestuft. Und trotzdem wird es in Ihrem Artikel nahezu unkommentiert referiert, als ginge es um eine legitime migrationspolitische Option. Auch Krahs Forderung nach ethnischer Segregation („außereuropäisches Berlin-Neukölln“) bleibt im Text unwidersprochen. Damit läuft Ihre Berichterstattung Gefahr, die radikale Rhetorik zu normalisieren, statt sie als das zu benennen, was sie ist: ein Angriff auf das Grundgesetz und die Menschenwürde.
Vor diesem Hintergrund wirkt der Hinweis auf eine (methodisch fragwürdig dargestellte) Umfrage zur Ablehnung eines AfD-Verbots auf der Titelseite besonders bedenklich. Die Allensbach-Zahlen stehen unkommentiert für sich, ohne Hinweis auf die jüngsten gegenteiligen Umfrageergebnisse (z. B. von Insa oder Ipsos), ohne Reflexion über die soziale Dynamik dahinter und ohne jegliche journalistische Einordnung.
Demokratie ist kein rein arithmetischer Prozess, in dem Umfragen über die Gültigkeit des Grundgesetzes entscheiden. Wenn eine Partei in Teilen offen verfassungsfeindliche Positionen vertritt und deren Protagonisten wie Maximilian Krah nicht einmal mehr zurücktreten müssen, sondern strategisch über Begriffsverschiebungen nachdenken, dann braucht es mehr als neutrale Berichterstattung. Dann braucht es Haltung. Und die vermisse ich in Ihrer Ausgabe.
Mit freundlichen Grüßen